Der Stadtteil Hirschzell
Hirschzell ist ein Stadtsteil der kreisfreien Stadt Kaufbeuren am nordöstlichen Rand des bayerischen Allgäus innerhalb des Regierungsbezirks Schwabens und wird vollständig vom Landkreis Ostallgäu umgeben. Das bäuerlich geprägte Kirchdorf liegt südöstlich der Stadt und hat derzeit rund 2100 Einwohner.
Gründungsgeschichte von Hirschzell
In der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts brachten die St. Gallener Mönche Magnus, Theodor und Tozzo den christlichen Glauben ins Allgäu. Bald wurden in Kempten, Füssen und Ottobeuren Klöster gegründet. Die Gegend zwischen dem Königshof Kaufbeuren (Buron im Jahrer 741) und der damals fränkisch-bayerischen Lechgrenze, wo Alemannen und jüngst zugewanderte Franken saßen, wurde durch das benediktinische Reichskloster Stöttwang christianisiert. Um den Glauben der Neugetauften zu festigen, wurden an verschiedenen Orten kleine Missionsstationen eingerichtet. Es waren einfache Holzhütten mit Stallungen und einem kleinen Holzkirchlein. Diese Zellen wurden meist nach dem ersten Priester benannt. So entstand Herilescella = Celle des Herilo oder Celle des Herilin (=Herrle, wie man oft heute noch liebevoll den Dorfpfarrer nennt). Nach Beendigung der Missionsaufgabe schenkte Kaiser Ludwig der Fromme 831 das Reichskloster Stöttwang und seine Pfarreien dem Kloster Kempten. Abt Tato von Kempten überließ 839 die Zelle Herilescella dem kaiserlichen Kaplan Ratolf auf Lebenszeiten zu Lehen und Nutzen. Dies ist die erste urkundliche Erwähnung des Ortes Hirschzell.
Dass aber bereits vor dieser Zeit Menschen auf Hirschzeller Flur lebten, beweisen unter anderem eine Wallanlage mit Siedlungsfunden der Bronzezeit am Spitalbach, der südlich von Hirschzell in den Bärensee mündet, sowie ein vorgeschichtliches Grabhügelfeld mit etwa 12-14 Grabhügeln im Spitalwald. Der Fund einer bronzenen Gewandnadel aus der Urnenfelderzeit (späte Bronzezeit - 1200 - 800 v. Chr.) im Frühjahr 2011 auf dem Hausstattner Feld gibt einen Hinweis darauf, ab welchem Zeitpunkt hier bereits Menschen siedelten.
Der Schlossberg in Hirschzell
Im 12. Jahrhundert lebte in Hirschzell ein Ortsadelsgeschlecht, das seine Burg auf dem Schlossberg hatte. Es waren Dienstmannen der Welfen. Um 1150 werden Erlewin und sein Sohn Rüdeger von Hirschzell bei einer Schenkung an das Kloster Polling genannt. 1209 wird Otto von Hirschzell als Zeuge einer Investitur der Kirche zu Westendorf erwähnt. In einer Urkunde vom 2. Mai 1316 erscheinen Ritter Rüdeger de Hirschcelle und seine Ehefrau Elisabeth, ferner Jakob, Luitgard und Irmengard von Hirschzell als Wohltäter des Spitals von Kaufbeuren. Das Geschlecht bürgerte sich später in Kaufbeuren ein und ist im 14. Jahrhundert ausgestorben. An die Burg erinnert heute noch ein Gedenkstein auf dem Schlossberg.
Das Klösterle von Hirschzell
Im Vorzeichen der Thomaskirche zu Hirschzell befinden sich zwei Epitaphe. Darauf ist zu lesen:
„Hie ligt begraben die erwirdig Junckfrau Dorothea von Rechlingen geborne zw Haldenberg hier probstin zu Hirßzell der Got genedig und parmherczig sey und ist begraben worden als man zallt finfczehenhundert und im vierczigsten jare".
Daneben das Epitaph ihrer Mutter:
„Anno domini MCCCCCXXVII ist verschieden und hie zu Hirszell begraben auf suntag der hailigen Trinidat (16.6.) die erßam edell fraw Barbara Schweichartin ferlassne witwan Jacobs von Rechlingen zu Haldenberg der Got genedig und barmherczig sey“.
Diese beiden Epitaphe erzählen uns, dass sich in Hirschzell einstmals ein Klösterlein befand. Dorothea von Rehlingen zu Haldenberg war Klosterfrau im Dominikanerkloster St. Katharina zu Augsburg. Sie erwirkte 1521/22 die päpstliche Genehmigung, aus eigenen Mitteln ein Hirschzell eine Kirche und ein Klösterlein zur Aufnahme von acht Nonnen zu erbauen und ihm als Pröpstin vorzustehen. Sie war durch ihre Mutter Barbara Schweickart reich begütet. 1531 führte Sie ihr Vorhaben aus. Zum Bau der Kirche kam es aber nicht. Das Kloster bestand nur bis 1535. Die Pröbstin starb 1540. Wo der Konvent gewohnt hat, ist heute nicht mehr bekannt.
(Aus „Kaufbeurer Geschichtsblätter“)
Hirschzell unter verschiedenen Herrschaften
Das Kloster Kempten hat seine Lehensrechte in Hirschzell schon früh verloren – vermutlich durch Güterbereinigungen an die Welfen. Die Welfen und später ihre Rechtsnachfolger, die Herrschaft Kemnat, hatten Reste des ehemaligen Reichsbesitzes zwischen Wertach und Lech als Reichslehen inne. Diese verkaufte Otto von Benzenau zu Kemnat 1480 an den Kaufbeurer Bürger Lorenz Honold. Dessen Nachkommen veräußerten ihre Besitzungen an das Kloster Irsee, das widerum die Lehensstücke zu Frankenried und Hirschzell Jörg von Benzenau käuflich überließ. 1535 verkaufte Simprecht von Benzenau zu Kemnat die Orte rechts der Wertach um 10150 Gulden an Jakob von Kaltental. 1699 kam Hirschzell an das Kloster Rottenbuch. Dort blieb es, bis es im Zuge der Säkularisation 1803 bayerisch wurde.
Die Wappen von Hirschzell
Das Wappen ist gespalten; der vordere Teil des Wappens, ein mit drei goldenen Kugeln besetzter Schrägbalken, ist das Zeichen der Benzenauer, die ja einige Zeit die Herren von Hirschzell waren, der hintere Teil, ein grün belaubter Baum auf grünem Schildfuß, steht für das Kloster Rottenbuch.
Die Einwohner von Hirschzell
Ihr tägliches Brot mussten sich die Einwohner von Hirschzell bis in die Gegenwart hinein durch die Landwirtschaft erarbeiten. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren es ca. 30 landwirtschaftliche Anwesen, die sich in der Höhenlage von fast 700 Metern mit den steinigen Böden abmühten. Der Flachsanbau wuchs bis ins 19.Jahrhundert zur wichtigsten Ertragsmöglichkeit heran, bis die Milchwirtschaft diese dann verdrängte. Heute ist der Ort vorwiegend von Landwirtschaft und Kleingewerbe geprägt.
Eingemeindung von Hirschzell
Im Zuge der Gebietsreform schloss Hirschzell mit der Stadt Kaufbeuren am 17. Mai 1972 einen Eingemeindungsvertrag und wurde damit zum 1. Juli 1972 ein Stadtteil Kaufbeurens. Geht man nach der ersten urkundlichen Erwähnung aus dem Jahre 839, so ist Hirschzell der älteste Stadtteil Kaufbeurens.