Dorfgemeinschaftshaus Hirschzell

Es war ein Vorhaben, das sich viele Gemeinden wünschen, hin und wieder auch unter größter Anstrengung selbst anschieben: ein Gemeinschaftszentrum als Treffpunkt, Vereinsheim und Dorfmittelpunkt. Was in Hirschzell entstand, ist allerdings in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Das Unternehmerehepaar Katharina und Wolfgang Wiedemann baute die ehemalige Gaststätte Sonne zu einem neuen Dorfzentrum um.

Oberbürgermeister Stefan Bosse nannte das Gemeinschaftshaus „etwas ganz Besonderes“. Anfangs habe man gemeinsam überlegt, eine staatliche Förderung in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung war dann – angesichts der Auflagen – das Projekt selbst in die Hand zu nehmen, anstatt es aus der Hand zu geben. Das ganze Dorf brachte sich ein. Das betonte auch Katharina Wiedemann, die nach wie vor begeistert ist, auf welche Resonanz die eigentlich spontane Idee bei den Hirschzellern gestoßen ist, und wie viele Helfer, darunter zahlreiche Jugendliche, mitmachten. Über die große Verlässlichkeit und Flexibilität der ohnehin voll ausgelasteten Baufirmen und Planer freute sich Wolfgang Wiedemann.

Das Erdgeschoss wurde als Aufenthalts- und Gastraum für bis zu 100 Besucher hergerichtet und um einen Wintergarten nach Süden hin erweitert. An dieser Seite entstand auch ein Treppenhaus, ergänzt durch einen Aufzug, damit das Gebäude barrierefrei wurde. Das Haus steht unter anderem dem Musikverein Hirschzell als Proberaum mit höchsten akustischen Ansprüchen und den Schützen als Vereinsheim mit neun Schießständen zur Verfügung. Die Schützen kehrten damit an ihre frühere Sportstätte zurück. Beide Vereine bauten und statteten ihre Räume selbst aus und zahlen Miete. In diesem Gebäude treffen sich jeden ersten Freitag im Monat auch rund 30 Hirschzeller; unter ihnen ist Markus Pelzl, der in diesem Kreis seit fünf Jahren Fotos, Dokumente und Infos zu Hirschzell sammelt. Gelegentlich gibt es Vorträge, manchmal sitzt man zum Ratschen, Diskutieren oder Kartenspielen zusammen.

Zur Geschichte des Hauses:

Der Gasthof in Hirschzell war eine Tafernwirtschaft (abgeleitet von „taverna“). Der Baubestand – zumindest der Dachstühle – stammt aus dem 18. Jahrhundert; dies steht fest, da im Zuge der Renovierung Dachbalken dendrochronologisch untersucht wurden und Teile auf 1761, andere auf 1792 datiert werden konnten. Die Wirtschaft wurde am 5. Februar 1801 von Leonhard Graf erworben mitsamt den Rechten, zu „kochen, ausbaken, beherbergen, metzgen, Brandweinbrennen“. Derselbe erwarb am 26. November 1828 um 4800 Gulden auch große Teile des ehemaligen Wirtsgutes vom Müller Joseph Anton Kunz. Dieses Wirtsgut, war als ursprünglicher Widemhofkomplex einer der großen Urhöfe des Dorfes gewesen. Für das Ende des 19. Jahrhunderts ist ein rascher Wirtewechsel belegt: In den Quellen erscheinen von 1885 bis 1899 die Namen Constantin Gilliard, Georg Maier, Kustermann und Sebastian Bechteler. Erst mit der Übernahme durch Otto Gronmayer kam wieder Stabilität in den Betrieb. Die Bedeutung des Gastwirtes und des Gasthofes für das Gemeindeleben ist für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts gut belegbar: Otto Gronmayer verkaufte 1910 ein Grundstück, damit der Raiffeisenkassenverein ein Lagerhaus errichten konnte, 1930 stellte der Wirt ein Grundstück für einen Turnplatz zur Verfügung; dieser Verein durfte im Tanzsaal seine Turnstunden abhalten. Feste und Jubiläen fanden beim Wirt statt, so zum Beispiel die Dankfeier für die Kriegsheimkehrer 1919 oder das 50-jährige Jubiläum der Feuerwehr 1930. Im Gastgarten fand 1939 eine Maifeier mit Maibaumaufstellung statt. Bei dieser Gelegenheit spielte zum ersten Mal die Musikkapelle von Hirschzell – und im Übrigen fand auch die Neu-Gründungsversammlung des Musikvereins Hirschzell e.V. dort am 21. September 1979 statt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wechselten die Wirte häufig. Unter den Wirtsleuten - teils Besitzer, teils Pächter - Helene Luckner, Gustav Lang und Dora Riederer wurde bis in die 1960-er noch gekocht - so kamen beispielsweise die Angestellten der Steuerberatungsfirma Hörnig in die Gaststätte zum Mittagstisch. Da aber der Abendbetrieb unter der Woche relativ gering war, rechnete sich der Betrieb des Gasthofes nicht mehr. Im Jahr 1959 verkaufte Helene Luckner den Gasthof an die Aktienbrauerei Kaufbeuren, die ihn verpachtete. Allerdings fanden in der Folge zahlreiche Pächterwechsel statt. Zwischen 1965 und 1984 gab es allein elf verschiedene Pächter und der Gasthof verwandelte sich eher zu einem Betrieb, der nur Getränke ausschenkte. Ab dem Jahr 1984 wurde der Gasthof durch das Ehepaar Winkler, ab 1988 nur noch von Frau Ursula Winkler geführt und nach deren Tod im Jahr 2006 endgültig geschlossen. (Zeilenumbruch) Danach stand er lange Zeit leer. 2016 wurde er von Frau Katharina Wiedemann gekauft, um es der Hirschzeller Dorfgemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Es sollte im Dorf wieder einen gemeinsamen Treffpunkt geben und das leerstehende Gasthaus wieder belebt werden. Das Gebäude musste dazu aufwendig saniert werden. In zahlreichen Bürgerversammlungen wurde das Projekt Dorfgemeinschaftshaus vorgestellt und erörtert. Mit viel Eigenleistung der Hirschzeller wurde ab 2017 gearbeitet, angefangen mit dem Leerräumen des Gebäudes. Seitdem wurde am Dorfgemeinschaftshaus Hirschzell gebaut, im September 2019 wurde Richtfest, im Juli 2021 die Einweihung gefeiert.